RÜCKSCHAU
Neuer Start in neuen Räumen der Selbsthilfekontaktstelle Marburg-Biedenkopf
Foto:
Bernd Gökeler, Gruppenleiter der MS SHG Marburg-Biedenkopf
mit dem durch Trostpflaster „behinderten“ Sparschwein als Symbol für die unzureichende Finanzierungsgrundlage der Selbsthilfe und der Selbsthilfekontaktstelle.
Pressemitteilung
Schlusslicht in Hessen: Selbsthilfe hofft auf deutlich mehr Förderung
Montag, 23. Mai 2022
Am 18. Mai hat die Selbsthilfe ihre neuen Räumlichkeiten für eine kleine Einweihungsfeier geöffnet. Politiker, Förderpartner:innen und Vertreter:innen aus der Selbsthilfe betonten in ihren Grußworten, wie wichtig Selbsthilfe für den Einzelnen, aber auch für die Gesellschaft sei. Im gleichen Atemzug kritisierten Sie jedoch auch die aktuell äußerst prekäre Fördersituation der Marburger Selbsthilfe.
Im Februar konnten die Selbsthilfegruppen ihre neuen Räumlichkeiten für Selbsthilfegruppentreffen in der Leopold-Lucas-Straße 15 beziehen, gefördert von der Stadt Marburg und unter dem Dach des Lebenshilfewerk Marburg-Biedenkopf e.V. (LHW).
Martina Heide-Ermel, Geschäftsführende Vorständin des Trägervereins Bürgerinitiative-Sozialpsychiatrie e.V. bedankte sich bei Horst Viehl, Vorstand des LHW, welcher der Selbsthilfe in einer sehr schwierigen Situation die Türen geöffnet habe. Aufgrund des Hausverkaufes am ehemaligen Standort Krummbogen 2,
sei es eine echte Herausforderung gewesen, in Zeiten des angespannten Wohnungsmarktes, eine neue Örtlichkeit im Zentrum Marburgs zu finden. „Diese wissen wir deshalb umso mehr zu schätzen und sie bietet gleichzeitig eine deutliche Verbesserung.“ Die Räume sind barrierefrei zugänglich, verfügen über ein barrierefreies WC und W-LAN. Der größere Gruppenraum ist zudem mit einem Beamer, Stellwänden und einer Flip Chart ausgestattet. Eine Küche ermöglicht die Sorge für das leibliche Wohl. Im Innenhof befinden sich Tische, Bänke und Sonnenschutz, die bei gutem Wetter zu Gruppentreffen an der frischen Luft einladen. Inzwischen konnten hier auch die Büroräume der Selbsthilfe-Kontaktstelle angebunden werden.
Die Einweihungsfeier am 18. Mai gewährte nicht nur Einblicke in die neuen Räumlichkeiten, sondern auch in die wertvolle Arbeit der Selbsthilfe. Eingeladen waren neben Vertreter:innen aus den fast hundert Selbsthilfegruppen im Landkreis auch Vertreter:innen derjenigen Institutionen, welche die Selbsthilfe strukturell, finanziell und inhaltlich unterstützen. Ein gutes Dutzend Selbsthilfegruppen stellten sich an Infotischen vor. Rund die Hälfte von ihnen nutzte die Gelegenheit, um in kurzen Redebeiträgen am Mikrofon herauszustellen, warum Selbsthilfe, Selbsthilfegruppen und die Selbsthilfe-Kontaktstelle wichtig seien. Diane Schaible, Koordinatorin der Selbsthilfe-Kontaktstelle, bedankte sich bei den Selbsthilfeaktiven dafür, „dass Sie somit dieser wichtigen Arbeit ein Gesicht geben.“
Austausch in Selbsthilfegruppe ist heilsam
Stadträtin Kirsten Dinnebier eröffnete die Einweihungsfeier mit einem Grußwort in Vertretung für Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies, der die herausragende Bedeutung der Selbsthilfe seit Jahren immer wieder hervorhebt. „Therapie kann einiges leisten, aber bei Austausch und Unterstützung auf Augenhöhe stößt sie an ihre Grenzen. Das kann nur Selbsthilfe leisten“, lobte Roland Stürmer, Aufsichtsratsvorsitzender der BI Sozialpsychiatrie e.V. sowie ehemaliger und langjähriger Vorsitzender der Psychotherapeuten Marburg (PsyMa).
Das unterstrich auch Helmuth Braun vom Väter-Aufbruch für Kinder e.V.: „Wir sind die Experten in eigener Sache und nicht nur Hilfe zweiter Klasse. Selbsthilfegruppen zeigen uns, dass wir nicht allein mit einem Problem sind. Wir lernen gemeinsam, was wir tun können, damit es uns besser geht.“ Claudia Straub, von der Selbsthilfegruppe für Verschickungskinder erklärte: „Oft können Familie und Bekannte unser Leiden nicht nachvollziehen. Eine Selbsthilfegruppe bietet einen geschützten Raum, Verständnis und Akzeptanz. Allein der Austausch kann hier schon heilsam sein.“
„Die GKV-Selbsthilfeförderung in Hessen fördert seit vielen Jahren die Strukturen der hessischen Selbsthilfe. Hierbei legen wir unser besonderes Augenmerk auf die jeweilige regionale Personalsituation, damit eine qualifizierte und ausreichende Betreuung der ehrenamtlichen Arbeit der Selbsthilfegruppen gewährleistet ist“, erklärte Susanne Strombach von der GKV. „Allerdings dürfen wir als Krankenkassen nur eine anteilige Finanzierung leisten, so dass auch die Kommunen hier ergänzend in der Verantwortung stehen und einen stärkeren Beitrag leisten müssen“, so Strombach weiter.
Selbsthilfe in Marburg-Biedenkopf stark unterfinanziert
Wie viel stärker der Förderungsbedarf der Marburger Selbsthilfe-Kontaktstelle ist, zeigt eine einfache Rechnung: „Die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen e.V. hat bereits vor mehr als zwanzig Jahren eine Empfehlung zur personellen Ausstattung von Selbsthilfe-Kontaktstellen herausgegeben, gemessen an der Einwohnerzahl der Landkreise. Demnach wären für den Landkreis Marburg-Biedenkopf 2,5 Stellen für Beratungsfachkräfte und eine volle Stelle für eine Verwaltungsfachkraft angemessen“, erklärte Diane Schaible. „Aktuell stehen uns in Marburg lediglich 17 Wochenarbeitsstunden für die Fachberatung sowie vier Wochenarbeitsstunden für die Verwaltung zur Verfügung. Damit bilden wir unter allen hessischen Landkreisen das Schlusslicht,- das lässt sich nicht beschönigen“, beklagte Schaible. „Ich wünsche mir, dass es auch in unserer Region möglich wird eine angemessene, attraktive und zeitgemäße Selbsthilfeunterstützung anbieten zu können.“
Bernd Gökeler von der Selbsthilfegruppe Multiple Sklerose fand deutliche Worte für die prekäre Lage der SHK und richtete einen Appell an den Landkreis: „Selbsthilfe ist wie eine Feuerwehr für die Gesundheit. Aber der Feuerwehr würden wir niemals zumuten, erst um Spenden zu betteln, bevor sie einen Brand löschen kann. Die Selbsthilfe jongliert zahlreiche Probleme und ist auf die Unterstützung der SHK angewiesen. Die Selbsthilfe-Kontaktstelle wiederum jongliert die Selbsthilfegruppen. Es ist aber hoch belastend, jemanden fallen zu lassen, nur weil die Arbeitszeit nicht ausreicht. Der Landkreis war früher einmal sehr aktiv in der Selbsthilfeförderung, hat sich dann aber stückweise zurückgezogen. Das muss sich wieder ändern.“
Bei Karin Szeder, Mitglied des Kreisausschusses, ist der Appell angekommen. „Mir ist heute das Herz aufgegangen, als ich gesehen habe, was aus den alten Werkstatträumen der Lebenshilfe geworden ist“, sagte sie und versprach: „Ich habe sowohl das Lob gehört, als auch den Tadel. Beides werde ich mit in die neuen Haushaltsverhandlungen des Landkreises nehmen.“
Diane Schaible, SH Kontaktstelle Marburg-Biedenkopf, Bi-Sozialpsychiatrie e.V. (Q.: auch für die Fotos)
Welt MS Tag – 30 Mai 2021 – Selbsthilfe 2.0
Welt Multiple Sklerose Tag am 30.05.2021
Welt Multiple Sklerose Tag 2.0
Am 30. Mai ist Welt Multiple Sklerose Tag, der Tag, der die Menschen mit der chronisch neurologische Erkrankung des Zentralen Nervensystems öffentlich sichtbar machen soll, der der Erkrankung der 1.000 Gesichter, wie die MS auch genannt wird, gewidmet ist. Dieses Jahr ist das Motto „stay connected“. Man kann aber nur verbunden bleiben, wenn über die Pandemie nicht die Fäden der Selbsthilfe verloren gegangen sind, so Bernd Gökeler, der Gruppenleiter der MS Selbsthilfegruppe Marburg-Biedenkopf. Selbsthilfe lebt von der persönlichen Begegnung, von Vertrauen und menschlicher Nähe, in der MS SHG Marburg-Biedenkopf wird das auch im 40. Jahr ihres Bestehens versucht. Grundpfeiler ist möglichst alle, unabhängig vom Grad Ihrer Einschränkungen, bei allem einzubeziehen. Das war in Pandemiezeiten durch Selbsthilfe von und für Menschen mit MS nicht möglich. Menschen mit chronischer Erkrankung und Behinderung sind verstummt und waren zum eigenen Schutz in größtmöglicher Isolation. Gökeler berichtet, dass er fast mit einem Neustart nach den Öffnungen rechnet, einer Selbsthilfe 2.0, wie er es nennt, die für die Mehrheit der Mitglieder und den überwiegenden Teil des Angebotes eben nicht digital sein kann. So bietet die MS Selbsthilfegruppe Motologietherapiekurse an, die leben von der Gemeinschaft, dem Ideenreichtum der Therapeut*innen, die damit für die Teilnehmer*innen wieder die Verbindung ihres Körpers und ihrer Psyche spürbar machen um sich als Ganzes zu erleben. Ausflüge und Gruppenfreizeiten sind gedacht um einen Tapetenwechsel auch für die Menschen zu ermöglichen, die sonst dazu keinerlei Gelegenheit mehr haben, unter Einbeziehung deren Angehörigen. Das ungezwungene gemeinschaftliche Erleben ohne sich ständig erklären zu müssen und die Scham über das nicht mehr alles zu können für ein paar Stunden vergessen sind dabei der Kern des Anliegens. Gruppentreffen mit Maske und 1,50 Meter Abstand ohne etwas verzehren zu dürfen schaffen dafür kaum ein Klima.
Wichtig ist wenigstens an diesem Tag wieder Gesicht zeigen zu können, so Gökeler, denn Menschen mit Behinderung oder chronischer Erkrankung sind aus dem öffentlichen Fokus vollkommen verschwunden. Das Gegenteil von Inklusion bildete die Lebenswirklichkeit. Die über Monate erlebte Ausgrenzung muss durch aktives Einbinden gemildert werden. Das braucht große Anstrengungen und bedarf auch der Wahrnehmung durch die und Unterstützung der Gesellschaft. Gökeler hofft sehr, dass die Öffnungen und der ausbrechende Verteilungskampf nicht wie schon in der Pandemie so auch nach der Pandemie die Schwächsten vergisst oder ignoriert. Behindern ist heilbar, jeder einzelne Mensch in Deutschland trägt dafür an seinem Platz Mitverantwortung, schließt Gökeler appellierend.
Multiple Sklerose ist eine der häufigsten Erkrankungen des zentralen Nervensystems. MS tritt meist im jungen Erwachsenenalter auf und betrifft deutlich mehr Frauen als Männer. Die Auslöser sind überwiegend unbekannt, die Erkrankung ist nicht heilbar.
MS SHG Marburg-Biedenkopf
Mehr unter www.dmsg-hessen.de/marburg-biedenkopf/
Ebsdorfergrund, 27.05.2021 Bernd Gökeler
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5. Mai – EU Protesttag – Mahnwache für die Opfer von Potsdam
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Mahnwache des Landesbehindertenrates Hessen in Marburg für die in Potsdam 4 getöteten Menschen mit Behinderung am 5. Mai, dem EU Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit und ohne Behinderung.
Mahnwache für 4 Getötete Menschen mit Behinderung in Potsdam
Am 05. Mai fand im Gedenken an die 4 Getöteten und die Schwerletzte in einer Potsdamer Behinderteneinrichtung eine Mahnwache in Marburg auf dem Elisabeth Blochmann Platz statt. Der 5. Mai ist eigentlich der Europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit und ohne Behinderung, aber mit Blick auf die furchtbaren Ereignisse in Potsdam, rief der Behindertenrat Hessen zu einer Mahnwache auf. Fünf Menschen mit Behinderung, die zum Teil schon seit ihrer Geburt in der Einrichtung in Potsdam leben, wurden durch eine Mitarbeiterin angegriffen, 4 erlagen ihren Verletzungen. Die Vorsitzende des Behindertenrates Naxina Winstroer forderte den Opfern ein Gesicht zu geben, ihnen zumindest damit die letzte Würdigung zu erweisen. Wer waren sie, wie haben sie gelebt, was war ihnen wichtig, wie hätte ihre Tötung verhindert werden können? Neben mehr Gewaltschutz, so Winstroer, müssen die Menschen die Wahl auf ambulante Versorgung erhalten, das setzt barrierefreien Wohnraum und entsprechende Versorgungsstrukturen voraus. Bernd Gökeler ebenfalls vom Landesbehindertenrat und Leiter der MS SHG Marburg-Biedenkopf nahm generell die Gewalt gegen Menschen die aufgrund ihrer Behinderung von Hilfe abhängig bzw. auf Pflege angewiesen sind in den Blick. Er fragt, warum so wenig öffentliche Wahrnehmung der grausamen Tötung erfolgt, warum überhaupt in der Pandemie wieder einmal Menschen mit Behinderung mit Ihren extremen Problemlagen in den öffentlichen Diskussionen und in den Medien fast unsichtbar geworden sind. Ein Vergleich hinkt immer, so Gökeler, aber was anderes als ein Amoklauf wie in einer Schule oder wie in Hanau stellt diese Tat dar? Dabei geht es nicht um die Motivlage, sondern vorrangig um das Leid für die Opfer und deren Angehörigen. Gerade am 5. Mai, dem Europäischen Protesttag soll diese Mahnwache ein Zeichen der Ermahnung sein, Menschen mit Behinderung als gleichrangiger Teil der Gesellschaft solidarisch zu schützen, so Gökeler weiter.
Statt Protest an diesem Tag Trauer, Erschrecken und Wut, wie eine der 40 Anwesenden es ganz persönlich formuliert.
Die Mahnwache als kleines Zeichen in Marburg und als Mahnung zu höherer Wachsamkeit an uns alle.
Bernd Gökeler Ebsdorfergrund, den 07.05.2021
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Unsichtbare MS-Erkrankte trotz Corona wieder sichtbar machen
Unsichtbare MS-Ekrankte trotz Corona wieder sichtbar machen
Mitglieder der MS SHG Marburg-Biedenkopf zeigen Gesicht, um neben allen öffentlichen Debatten um u.a. Wirtschaft und Urlaub darauf aufmerksam zu machen, dass die Problemlagen für Menschen mit Chronischer Erkrankung und Behinderung weit entfernt sind von der „neuen Normalität“. Teilhabe war gefühlt gestern und die Selbsthilfe unter mit erheblichem Risiko durch Coronafolgen ausgesetzten Menschen war die letzen Monate und ist die nächsten Monate kaum umsetzbar/lebbar.
Wir brauchen Rettungsschirme der Menschlichkeit in erster Linie für die Geschwächten!
Corona macht Menschen mit Multiple Sklerose unsichtbar, auch am Welt MS-Tag ?
Sozialer physischer Kontakt als essentielle KLAMMER, um Halt zu geben und zu finden.
Foto: privat
Corona macht Menschen mit MS unsichtbar,
auch am Welt MS-Tag?
Anlässlich des Welt Multiple Sklerose Tages am 30.05.2020 zeigt die MS Selbsthilfegruppe Marburg-Biedenkopf wieder Gesicht. Nicht wie sonst durch Plakate und Flyer, durch Infostände oder mit der Fühlstraße, die durch Simulation verschiedene Behinderungen der MS nachfühlbar macht. Die Pandemie macht das unmöglich, aber Gesicht zeigen heißt, die Lebenswirklichkeit zu schildern, aus der Nichtwahrnehmung herauszutreten. Durch Corona sind die Menschen mit der Erkrankung der 1.000 Gesichter, der MS, fast unsichtbar geworden. Die Risikominimierung zwingt zur selbstauferlegten Quarantäne. Die Ängste machen allzu oft sprachlos und isolieren weiter von all den Öffnungen, die der Mehrheit der Bevölkerung als für sich selbstverständlich reklamieren. Sozialkontakte selbst mit Angehörigen waren unmöglich und sind immer noch schwierig, nicht nur in stationären Einrichtungen. Menschen die unheilbar an der entzündlichen Autoimmunerkrankung des Zentralen Nervensystems leiden, können oft die schwer erkämpften Nischen der Teilhabe nicht mehr wahrnehmen. Monatliche Treffen der MS Selbsthilfegruppe Marburg-Biedenkopf fallen weiter aus, der Stammtisch für Betroffene ist ebenfalls aufgrund der Auflagen unmöglich, der jährliche Tagesausflug und der Höhepunkt des Jahresprogramms die Gruppenfreizeit bleiben undurchführbar. Gleiches gilt für die seit vielen Jahren stattfindenden Motologietherapiekurse, in dem der so zentrale Zusammenhang von Bewegung auf die Psyche und umgekehrt stärkend aufgenommen wird. In 2021 besteht die MS Selbsthilfegruppe 40 Jahre und finanziert sich zu ca. 95 % aus Spenden. In Zeiten länger anhaltender Rezession wird das existenzbedrohend, wird das Spendenaufkommen insbesondere aus der Wirtschaft ausbleiben.
Wichtiger ist aber noch, so der Gruppenleiter Bernd Gökeler, dass die Selbsthilfe von den persönlichen physischen Treffen als Basis lebt. Erst in der gegenseitigen Wahrnehmung, kann man gegenseitig erkennen wie es dem jeweils anderen wirklich geht. Erst längeres Beisammensein schafft die Atmosphäre um sich zu öffnen, Hilfebedarfe und Möglichkeiten zur Hilfe zu erkennen. Die Beschränkung auf Telefon und WhatsApp über Monate sind absolut kein Ersatz. Zu bangen ist, ob über die lange Zeitspanne die Strukturen weiter existieren und dann wieder tragen.
Armut macht krank und Krankheit macht oft arm und sowohl Krankheit als auch Armut isolieren, neben den Barrieren im Alltag.. Der Grundsicherungssatz oder die geringen Erwerbsminderungsrenten sind nicht geeignet neben der Mehrbelastung durch Masken und Desinfektionsmittel auch noch in die technische Ausstattung für u.a. Videotelefonie zu investieren. Spätestens bei Einführung der Tracking App müssen Menschen mit geringem Einkommen einen Zuschuss bekommen, um nicht aus materiellen Gründen davon ausgeschlossen zu bleiben. Ganz abgesehen von der Notwendigkeit der Vermittlung des Anwender*innenwissens. Ausgerechnet die Risikogruppen blieben ansonsten mindestens zum Teil außen vor. Gefordert wird auch eine zeitnahe und kostenfreie Versorgung der Risikogruppe mit PS2 Masken, für sie ist nicht nur der Schutz der Anderen, sondern der Selbstschutz zentral, auch für das Gefühl der eigenen Sicherheit und dem daraus erwachsenden Zutrauen wieder nach Außen gehen zu können.
Gökeler reklamiert, dass die Beschreibung des Alltags der Menschen mit Behinderung und Chronischer Erkrankung in Zeiten von Corona öffentlich kaum stattfindet. Fast alle Gremien der Selbstvertretung ruhen oder die Vertreter*innen können nicht wirksam sein, weil sie oft selber einer Risikogruppe angehören. Empowerment ist in Anbetracht der realen oder gefühlten Gefahrenlage schwer möglich. Die ohnehin aufgrund des Unterstützungsbedarfes bestehende Abhängigkeiten sind jetzt auch noch gepaart mit dem Risiko der wechselseitigen Ansteckung. Jeder helfende Handgriff, jede Begegnung wird auf die absolute Notwendigkeit geprüft. Nicht wenige haben nur noch Begegnungen mit einem Gegenüber in voller Schutzkleidung. Die Betroffenen würden sicher nicht von neuer Normalität, sondern von einem surrealen Ausnahmezustand sprechen.
Corona trifft überproportional Menschen mit chronischen Erkrankungen, Ältere und ärmere Schichten. Die Strategie darf, so Gökeler, keinesfalls die weitere Ausgrenzung dieser Gruppen sein. „Behindern ist heilbar. Corona darf nicht Grundrechte und die UNBRK unwirksam werden lassen. Der Teilhabe von Menschen auch mit chronischer Erkrankung und Behinderung muss mindestens der Stellenwert und die politische Aufmerksamkeit wie dem Erhalt der Arbeitsplätze oder systemrelevanter Branchen eingeräumt werden.“
Ebsdorfergrund, den 25.05.2020 Bernd Gökeler
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